Kulturschock

Im Folgenden möchten wir die Theorie des Kulturschocks erläutern. Unsere vier afghanischen Probanden, welche seit über einem Jahr bis zu zweieinhalb Jahren in Deutschland leben, haben diesen Prozess durchlebt. Ein Teil dieses Prozesses ist die Konfrontation, die Verarbeitung und die Akzeptanz der unterschiedlichen Frauenbilder in Afghanistan und Deutschland.

Treffen verschiedene Kulturen aufeinander wird immer ein Prozess in Gang gesetzt, in dessen Verlauf „[…] Identitätskonzepte, Wirklichkeitsbilder und Wertvorstellungen starken Veränderungen unterworfen sein können.“ (Erll/ Gymnich 2013: 67) Laut Erll und Gymnich sind Kulturkontakte keine starren, unveränderbaren Begegnungen, da jeder Mensch aufgrund seiner individuellen Erfahrungen unterschiedlich auf Fremdheit reagiert.

Den Begriff „Kulturschock“ prägte Kalvero Oberg, ein kanadischer Anthropologe. Er geht von der Annahme aus, dass gleichwohl welche Art der Begegnung mit einer fremder Kultur erlebt wird, sei es im Urlaub, im Auslandssemester oder durch Immigration, sie sich zunächst „schockhaft“ auf uns auswirkt. Sein Modell zum Kulturschock verläuft in vier Phasen:

(1) honeymoon stage/ Euphorie,

(2) crisis/ Kollisionen,

(3) recovery/ Akzeptanz der Unterschiede

(4) adjustment/ Akkulturation.

Das Modell von Oberg wurde durch Jürgen Bolten um eine weitere Phase ergänzt, die Missverständnis-Phase, welche sich an zweiter Stelle nach der Euphorie positioniert. (vgl. Erll/ Gymnich 2013)

5 Phasen des Kulturschocks:

Während der 1. Phase (Euphorie) ist der Neuankömmling gespannt auf das Neue und nimmt nur selektiv das vorher schon positiv Erwartete wahr. Hier befindet er sich noch in einer Zuschauerperspektive, „[…] das Neuartige der anderen Kultur fasziniert, ohne dass die eigene Kultur dabei in Frage gestellt wird.“ (http://shop.aww-brandenburg.de/media/files_public/jthpdskkh/2-010-0504-4_D_Leseprobe.pdf )

Taucht die Person tiefer in die Kultur ein, kommt sie in die 2. Phase (Missverständnisse). Da sie die Normen, Werte und Regeln der Zielkultur nicht oder nur teilweise kennt, können Missverständnisse entstehen. Die Denk- und Handlungsmuster der Herkunftskultur sind nicht anwendbar. In dieser Phase weist sich der Fremde, durch die Unwissenheit gegenüber der Fremdkultur, die Schuld noch selbst zu.

In der folgenden Phase 3 (Kollisionen) kann der Fremde die Ursache der Missverständnisse nicht finden und verliert teilweise den Mut. Er neigt dazu die Schuld bei den „anderen“ zu suchen und wertet seine eigene Kultur stark auf. Die anfänglich positiven Einstellungen zu Kontakten der fremden Kultur werden immer mehr durch Missverständnisse überlagert. Diese geben dem Neuankömmling das Gefühl sein soziales Umfeld zu verlieren und/ oder er beginnt sich zunehmend über das Verhalten der Menschen der Fremdenkultur zu ärgern. (vgl. ebd.)

In der 4. Phase geht es wieder aufwärts (Akzeptanz der Unterschiede). Der Fremde versucht sich mit den Unterschieden und Widersprüchen der Zielkultur zurechtzufinden bzw. diese zu Verstehen.

Schließlich durchläuft der Fremde in der 5. Phase (Akkulturation) einen Prozess, in dem er beginnt die Zielkultur nicht nur zu verstehen sondern teilweise fremdkulturspezifische Verhaltensmerkmale zu übernehmen (=Akkulturation). (vgl. Erll/ Gymnich 2013) Inwieweit sich eine Person der Fremdenkultur anpassen kann, ist abhängig von der Dauer des Aufenthaltes und dessen Verlauf. Dieser ist an die Akkulturationsform bzw. den Anpassungstyp gekoppelt. (Siehe Akkulturation)

Zum Kulturschock wurden von verschiedenen Autoren unterschiedliche Varianten zum Grundmodell entworfen. „ Im Kern enthalten sie allen den klassischen U-Kurven-Verlauf […]“. (http://shop.aww-brandenburg.de/media/files_public/jthpdskkh/2-010-0504-4_D_Leseprobe.pdf)

Modell U-Kurve:

kulturschock

(http://de.academic.ru/pictures/dewiki/75/Kultscho.png)

Definitionen:

  • Enkulturation:

Beschreibt den Prozess des Hineinwachsens in die Herkunftskultur. Die Enkulturation verläuft größtenteils unbewusst. Jeder Mensch übernimmt hierbei „[…] die Sprache, die Kommunikationsstrategien, die Verhaltensweisen und die Weltanschauungen, die für die betreffende Kultur kennzeichnend sind.“ (Erll/ Gymnich 2013: 68/69)

  • Akkulturation:

Akkulturation, laut Erll und Gymnich als Gegenpart zur Enkulturation, meint den Prozess des Hineinwachsens in eine fremde, „zweite“ Kultur. Während des Prozesses übernimmt man zunächst die Kommunikations- und Interaktionsregeln der Zielkultur (=Akkommodation). Im Laufe der Zeit verändert sich dann das eigene kulturelle Muster.

Das Kulturmuster kann sich laut R.W. Berry in vier unterschiedlichen Formen entwickeln. Im Akkulturationsprozess werden zwei Fragen gestellt, deren Beantwortung die Form der Akkulturation ergibt:

„(1) Will man die eigene kulturelle (Herkunfts-) Identität erhalten?

(2) Will man positive interkulturelle Beziehungen zur Aufnahmegesellschaft herstellen?“ (Erll/ Gymnich 2013: 69)

Die vier unterschiedlichen Formen sind:

Integration:

Hier wird die ursprüngliche kulturelle Identität beibehalten und gleichzeitig eine positive Beziehung bzw. Einstellung zur Zielkultur entwickelt. „Bei der Integration erfolgt also eine Synthese der beiden Kulturen in der Identität des Individuums.“ (Erll/ Gymnich 2013: 70) Das bedeutet jedoch nicht, dass keine Konflikte innerhalb des Individuums entstehen können, diese versucht es aber aktiv durch Kompromisse zwischen den Kulturen wieder in Einklang zu bringen. (vgl. Erll/ Gymnich 2013)

Assimilation:

Bei der Assimilation wird die ursprüngliche kulturelle Identität verdrängt, mit dem Ziel sich mit der neuen Kultur zu identifizieren. Die neue fremde Kultur wird somit zur „Leitkultur“, während die Herkunftskultur in den Hintergrund rückt. Die Herkunftskultur lässt sich jedoch nicht ohne weiteres verdrängen, deshalb entstehen Spannungen innerhalb des Individuums. Auch die Wiedereingliederung in die Heimatkultur ist hier problematisch. (vgl. ebd.)

Separation:

Bei dieser Form wird an der Herkunftskultur festgehalten und die Kultur des Ziellandes abgelehnt. Das Individuum ist nicht zur Anpassung bereit und verweigert meist das Erlernen der neuen Sprache sowie den Aufbau von Kontakten zu Menschen der Zielkultur. Separation wird begünstig durch Enklaven. In Enklaven leben Menschen mit gemeinsamem kulturellem Hintergrund abgeschottet in einem fremden Land zusammen. (vgl. ebd.)

Marginalität:

Bei diesem Fall verliert die Person ihre eigene kulturelle Identität, findet jedoch auch keinen Zugang zur neuen fremden kulturellen Identität. Das Individuum ist stark verunsichert und seine Identität stark destabilisiert, zusätzlich mangelt es ihm an interkultureller Kompetenz. Bei Marginalität handelt es sich demnach um die erfolgloseste Form der Akkulturation. (vgl. ebd.)

Statt von Akkulturationsformen sprechen manche Autoren auch von Anpassungstypen. Hier werden folgende Begriffe, die vergleichbar mit den Formen sind, genannt: Assimilationstyp (Assimilation), Kontrasttyp (Separation), Grenztyp (Marginalität) und Synthesetyp (Integration). (vgl. http://shop.aww-brandenburg.de/media/files_public/jthpdskkh/2-010-0504-4_D_Leseprobe.pdf )

Rückkehr ins Heimatland:

Die Rückkehr in das Heimatland kann mit erheblichen psychischen Belastungen verknüpft sein. Für dieses Phänomen hat sich der Begriff „Reverse Culture Shock“ etabliert (reversiver Kulturschock). Bei vielen Heimkehrern entsteht ein emotionales Tief, oft weil sie das Gefühl haben, dass sich ihre alte Heimat verändert hat, sie nicht mehr dazu gehören und sie Angst haben ihr soziales Umfeld zu verlieren. Diese Phase ist vergleichbar mit der Phase der Kollisionen im Ausland. „Erst wenn die Auslandserfahrungen und die neue, aktuelle Lebenssituation gemeinsam verarbeitet sind, ist die Integration der interkulturellen Lernerfahrungen in den eigenen kulturellen Horizont abgeschlossen.“ (http://shop.aww-brandenburg.de/media/files_public/jthpdskkh/2-010-0504-4_D_Leseprobe.pdf) D.h. der Heimkehrer fühlt sich erst dann in seiner Heimat wieder Zuhause, wenn der Verarbeitungsprozess abgeschlossen ist. ( vgl. ebd.)

Modell: W-Kurve

kulturschock

(http://de.academic.ru/pictures/dewiki/75/Kultscho.png)

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